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Pfarrer und Spiritual Konrad Hock (Diözese Würzburg, 1868 - 1935):

Kurze Anleitung zum Erlernen des Wandels in der Gegenwart Gottes.

Leutesdorf 1925

(durchgesehen und etwas bearbeitet von Gundikar Hock sj, Großneffe von Konrad Hock)

 

 

Wandle vor Gott und sei vollkommen (Gen 17,1)

Denn aufgrund der ständigen Betrachtung und Erleuchtung des Verstandes erwägen, besinnen sich darüber und betrachten die Vollkommenen mehr, daß Gott unser Herr gemäß seiner eigenen Wesenheit, Gegenwart und Macht in jedem Geschöpf ist. (Exerzitienbuch von Ignatius von Loyola Nr. 40)

Ignatius erzählt in seinem Bericht des Pilgers über sich: "So wachse er immer in der Andacht, das heißt, in der Leichtigkeit, Gott zu finden, und jetzt mehr als in seinem ganzen Leben. Und jedesmal und zu jeder Stunde, daß er Gott finden wolle, finde er ihn."
 
 

1. Kapitel.

Der beständige Wandel in Gottes Gegenwart.



Jesus sagt, wir sollten allezeit beten und nicht nachlassen Lk 18,1 und auch Paulus schärft den ersten Christen ein: Betet ohne Unterlass (1. Thess 5,17). Die Heiligen glaubten, sie könnten dieser Aufforderung Christi und seines Apostels nicht besser nachkommen als dadurch, dass sie beständig an die Gegenwart Gottes dachten. Der hl. Paul vom Kreuz sagte, dass er nicht begreifen könne, wie ein Mensch leben könne, ohne an Gott zu denken. ..

Dieser beständige Gedanke an Gottes Gegenwart ist allerdings schwer aber durchaus nicht unmöglich. Nicht bloß die Ordensleute, auch die Laienchristen, selbst jene, die viel Arbeit haben, können und sollen den beständigen Wandel in Gottes Gegenwart lernen. ...

Im Nachfolgenden sei gezeigt, wie man diesen beständigen Wandel in Gottes Gegenwart erlernen kann. Zunächst aber: Wie ist er aufzufassen?
Beständig in der Gegenwart Gottes wandeln heißt, immer oder fast immer der Gegenwart Gottes sich bewusst sein.. Ein Mensch, der beständig in der Gegenwart Gottes lebt, denkt öfter in der Stunde und längere Zeit am Tage ausdrücklich und ausschließlich an Gottes Gegenwart und spricht mit Gott in kürzeren und längeren Gebeten. Natürlich kann der Mensch nicht den ganzen Tag nur an Gott denken, er muss sich auch auf seine Arbeit konzentrieren und hat mit seinen Mitmenschen zu tun: Allein, wenn der innerliche Mensch auch arbeitet und isst und trinkt und mit seinen Mitmenschen redet, so vergisst er doch nicht vollständig Gott sondern bleibt sich auch da seiner Gegenwart mehr oder weniger bewusst. Wenn wir unter der Aufsicht eines Menschen arbeiten, so denken wir an unsere Arbeit und verrichten sie gewissenhaft, zugleich haben wir aber auch das Bewusstsein, dass wir beaufsichtigt werden und hüten uns darum, bei der Arbeit einen Fehler zu machen oder der Trägheit nachzugeben. Ebenso bleibt der Mensch, der in der Gegenwart Gottes lebt, sich stets bewusst, dass Gott ihm bei der Arbeit zuschaut und den Wert seiner Arbeit beurteilt. Ebenso kann man mit Menschen verkehren und ihnen zuhören und dabei wissen, dass auch Gott dabei ist und zuhört. Bei diesem mehr allgemeinen Bewusstsein, in Gottes Gegenwart zu stehen, denkt der Mensch zwar an Gottes Gegenwart, aber er denkt nicht fortwährend, dass er an Gottes Gegenwart denkt. Das ist wohl zu beachten, damit beim Wandel in Gottes Gegenwart die Nerven nicht zu sehr angestrengt werden und Schaden leiden. Wenn wir mit einem Freunde spazieren gehen, wissen wir immerfort, dass wir bei unserem Freunde sind, aber wir denken nicht immer, vielleicht niemals ausdrücklich: ich bin jetzt in der Gegenwart meines Freundes. Wenn wir auf diesen Unterschied achten, dann wird der beständige Wandel in Gottes Gegenwart nicht etwas Gezwungenes, Unnatürliches, dass man gleichsam krampfhaft, unter beständiger Nervenanstrengung sich abquält und festhält, sondern er wird zu einem ruhigen friedlichen, ungezwungenen Denken an Gott, das nicht niederdrückt, sondern erhebt und erfreut.
Diesen beständigen Wandel in der Gegenwart Gottes lernt man, indem man sich im Denken an Gottes Gegenwart übt und zugleich die Sammlung in Gott anstrebt und bewahrt.
 
 
 
 

2. Kapitel

Die Übung der Vergegenwärtigung Gottes




Gott hat uns Menschen so erschaffen, dass wir alles durch Übung lernen müssen. Sprechen lernt das Kind, indem es sich im Sprechen übt. Die Fertigkeit im Zeichnen, Malen musizieren, im Handarbeiten im Kochen lernt man, indem man sich in diesen Fächern übt. Das gilt auch von den christlichen Tugenden. Lieben lernt man durch lieben. Ebenso lernt man Demut, Sanftmut, Geduld, indem man sich in Akten der Demut  Sanftmut, und Geduld übt. Auch den beständigen Wandel in Gottes Gegenwart lernt man durch Übung, dadurch, dass man immer wieder sich an Gottes Gegenwart erinnert.

Von selbst kommt uns also der Wandel vor Gott nicht angeflogen, man lernt ihn auch nicht durch gute Vorsätze und sehnsüchtige Wünsche sondern nur durch eifrige, beharrliche Übung.
Wie man diese Übung machen will, bleibt dem Einzelnen überlassen. Als Hauptgrundsatz muss aber aufgestellt werden: Der Gedanke an Gottes Gegenwart muss immer häufiger in Erinnerung gebracht werden und die Aufmerksamkeit unseres Geistes muss allmählich immer länger auf Gottes Gegenwart gerichtet werden. Dabei dürfen wir nicht übersehen, immer wieder auch kürzere Gebete zum gegenwärtigen Gott zu sprechen.
Die Anfänger in dieser Übung tun sich deswegen so schwer, weil ihnen der Gedanke an die Gegenwart Gottes so selten einfällt. Die Geisteslehrer geben deshalb den Rat, wir sollten uns durch äußere Zeichen immer wieder an die Gegenwart Gottes erinnern lassen. z.B. durch ein Bild oder einen Zettel mit einer bestimmten Aufschrift oder mit einem aufgezeichneten Auge Gottes, den man auf einen gut sichtbaren Platz legt oder anderem.
Von großer Bedeutung ist, dass man es nicht dem Zufall überlässt, wie oft man sich an Gottes Gegenwart erinnert, sondern von vornherein eine bestimmte Zeit festsetzt, wie oft man innerhalb eines bestimmten Zeitabschnittes an Gottes Gegenwart denken wolle, z.B. alle Viertelstunde, oder zu Beginn einer Tätigkeit oder an ihrem Ende, wie man es ja auch beim Gebet vor und nach dem Essen macht. ...
Bei der Erinnerung an Gott kann man wenigstens am Anfang auch eine gewisse Abwechslung hineinzubringen suchen
1. Wir können uns vorstellen: Gott ist da, wo ich gerade bin, in dem Zimmer auf dem Platz, auf dem Wege, wo ich jetzt bin. Oder wir können uns vorstellen, Gott ist in mir, in meinem Leibe, in meiner Seele genauso wie im Sakrament der Eucharistie. Auch die Gegenwart Jesu im Tabernakel erinnert daran, dass Gott immer gegenwärtig ist. Oder wenn ich eine Kirche sehe. Es hilft auch, bei dem Gedanken, "Gott ist da" hinzuzufügen, er schaut auf mich, er denkt an mich, er liebt mich, er sorgt für mich. Wir können uns auch abwechselnd mal den Vater, mal den Sohn, mal den Heiligen Geist oder die heilige Dreifaltigkeit gegenwärtig vorstellen. Oder sich Gott mit einer seiner Vollkommenen Eigenschaft vorstellen. Der ewige Gott ist da, der heilige Gott, der allmächtige Gott, oder Jesus das Licht der Welt, der gute Hirt, der Erlöser der Menschen.
Überlassen wir aber diese Verschiedenheiten nicht dem Zufall sondern geben uns eine gewisse Ordnung, ohne dabei engherzig zu sein und einen Verstoß gegen die Ordnung als einen Fehler anzusehen.
2. Auch bei den einzelnen kurzen Gebeten, die wir an den gegenwärtigen Gott richten, sollen wir Abwechslung haben. Menschen, die bereits innerlich sind, brauchen vielleicht nur wenige Stoßgebete oder Anrufungen. Aber Anfänger und Menschen, die an Trockenheit leiden, brauchen unbedingt eine reiche Abwechslung. Wir können verschiedene kleine Gebete der Kirche benützen oder Stellen aus der Heiligen Schrift, besonders aus den Psalmen oder selbstgemachte Anrufungen oder Bitten nehmen. Wir können auch die gewohnten kleinen Übungen des Tages mit dieser Erinnerung an Gottes Gegenwart verbinden, wie geistliche Kommunion, Erneuerung der Absicht, Gott zu dienen.
Ganz wichtig ist es, immer wieder Akte der Liebe zu Gott zu erwecken, der Hingabe, des Dankes, der Demut (wer bin ich vor Dir du großer Gott), der Sehnsucht nach innerer Vereinigung, weil gerade diese Akte in ganz besonderer Weise uns Gott näher bringen.
Wer den Wandel vor Gott bald erlernen will, tut gut daran, wenn er sich gleich von Anfang an bemüht, seine Gebete an den gegenwärtigen Gott, den himmlischen Vater zu richten, nicht zu einem Gott, der fern ist, sondern der bei ihm und in ihm ist, mit dem er sich immer besprechen kann. So wird auch verhindert, dass unser Gebet nur ein Lippengebet wird, ein geistloses Aufsagen von Gebetsformeln. Wenn wir beim Gebet unsere Gedanken beim gegenwärtigen Gott haben, wird unser Gebet wirklich ein Reden mit Gott, ein andächtiger, ehrfurchtsvoller, von Liebe getragener Umgang mit Gott. Dies ist besonders angemessen nach der hl. Kommunion und dem Beten vor dem Allerheiligsten Sakrament.
Wer sich so öfter am Tag (vielleicht alle Viertelstunden, oder vor Beginn eines neuen Tuns oder in einer eintretenden Pause) Gottes Gegenwart erinnert, kommt bald dahin, dass er seine Aufmerksamkeit ohne Schwierigkeit einige Minuten auf Gottes Gegenwart gerichtet halten kann. Vielleicht gelingt es ihm auch, länger dabei zu bleiben, dabei soll er aber beherzigen: Dieses längere Denken an Gott soll aber immer ohne Anstrengung des Kopfes geschehen, damit nicht die Nerven Schaden leiden und man statt heilig krank wird. Sodann soll man das längere Denken an Gottes Gegenwart zunächst dann versuchen, wenn man sonst nichts zu denken hat, z.B. beim Gehen von einem Ort zum anderen, beim An- und Auskleiden, beim Spazierengehen, bei Pausen in Beschäftigungen, wenn man auf etwas warten muss, auf den Zug oder im Wartezimmer, an der Ampel oder im Stau.
Erst wenn man bei solchen oder ähnlichen Gelegenheiten ohne besondere Anstrengungen in Gottes Gegenwart verweilen kann, soll man dazu übergehen, sich auch im Gespräch mit den Mitmenschen das Bewusstsein von der Gegenwart Gottes zu erhalten. Dieses wird aber erst dann gelingen - und das sei scharf betont - wenn man die beständige Sammlung in Gott erreicht hat.
 
 
 

3. Kapitel.

Die Sammlung in Gott



Wenn man den beständigen Wandel in Gottes Gegenwart lernen will, muss man die beständige Sammlung in Gott anstreben und bewahren.

Was versteht man hier unter der Sammlung in Gott? Wenn wir mit unseren Gedanken und Gemütsbewegungen am liebsten bei Gott verweilen und darum wie von selbst immer wieder zu Gott zurückkehren. Wollen wir den beständigen Wandel in Gottes Gegenwart lernen, so darf diese Sammlung in Gott nicht eine kurze vorübergehende, bloß einige Stunden oder den einen oder anderen Tag dauernde sein, sondern sie muss eine immerwährende ununterbrochene werden. Dies ist aber nur dann möglich, wenn wir das üben, was die Sammlung in Gott fördert und das vermeiden, was die Sammlung in Gott hindert und stört.

I.

Die Sammlung in Gott wird gefördert durch die vorausgehende geschildert Übung der Vergegenwärtigung Gottes und außerdem besonders durch die tägliche Betrachtung, durch die oftmalige Gewissenserforschung und durch die eifrige Übung der Gottesliebe.
 
 

I 1. die tägliche Betrachtung

In allen geistlichen Gemeinschaften wird die tägliche Betrachtung geübt. Durchschnittlich sind dafür eine halbe bis eine Stunde angesetzt. Der hl. Bischof Franz von Sales gibt in seiner Philotea auch den Laien den Rat, sie sollen täglich eine Betrachtung halten und zwar am Anfang eine halbe Stunde lang, später eine ganze Stunde. Wer innerlich werden will, für den ist es gut, diesen Rat zu befolgen und täglich eine bestimmte Zeit über Gott, über Jesus Christus oder über die ewigen Wahrheiten der Schöpfung und Erlösung nachzudenken. Wer regelmäßig seine Betrachtung hält, wird allmählich immer wieder vom irdischen abgezogen und dem Göttlichen zugewendet.

In der Betrachtung soll man nicht nur über den Gegenstand nachdenken, sondern man komme ins Zwiegespräch mit dem gegenwärtigen Gott darüber und lasse sich durch Erweckung von Liebe, Dank Reue, Vertrauen, Demut von der erkannten Wahrheit ergreifen und durchdringen. Nur wenn der Wille und das Gemüt von der betrachteten Wahrheit gepackt wird, kann sie den Menschen verinnerlichen.

Eine Ergänzung und unter Umständen ein Ersatz der Betrachtung kann auch die geistliche Lesung sein. Wer eifrig in geistlichen Büchern liest und das Gelesene bedenkt, hat immer einen großen Reichtum von guten Gedanken in seiner Seele und kann so den Hauptfeind der Vergegen- wärtigung Gottes, die unnützen, eitlen, sündhaften Gedanken leichter vertreiben.
 

2. Die oftmalige Gewissenserforschung.

Der heidnische Philosoph Seneka erzählt von sich, dass er abends, wenn er still für sich allein sei sein Gewissen erforsche; und auch Pythagoras verlangte von seinen Schülern, dass sie täglich zweimal, vormittags und abends sich drei Fragen stellten "Was habe ich getan, wie habe ich es getan, habe ich alles getan, was ich hätte tun sollen?" Die Heiligen der katholischen Kirche haben diese Übung noch viel höher geschätzt und darum oftmals am Tage ihr Gewissen erforscht. Jede Gewissenserforschung ist eine Abkehr von der Außenwelt und eine Einkehr in unser Inneres. Jede Gewissenserforschung bringt auch eine bessere Selbsterkenntnis und somit auch eine größere Reinheit des Herzens. Wer sein Gewissen nur selten erforscht, bleibt dadurch ein oberflächlicher, veräußerlichter Mensch, der nie in die Tiefen seiner Seele eindringt. Wollen wir innerlich werden, müssen wir uns öfter am Tage in uns selbst zurückziehen, und spüren, was dem Auge des in uns gegenwärtigen, allwissenden Gottes in uns missfällt. Wir müssen das, was wir als fehlerhaft und unvollkommen erkannt haben, und wenn es auch nur sogenannte Kleinigkeiten wären, durch eine schmerzliche Reue tilgen. Nur einer reinen Seele wird Gott seine gnadenreiche Gegenwart innewerden lassen.
 

3. Wachstum in der Gottesliebe.

Jesus sagt: "Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz" (Mt 6,21). Das heißt, wo deine Liebe ist, da sind deine Gedanken. Verliebte denken den ganzen Tag an die Person, die sie lieben. Ein Mann, der sein ganzes Interesse auf seine Arbeit und sein Geschäft verwendet, denkt Tag und Nacht daran. Ebenso ist es auch mit der Gottesliebe. Wenn wir Gott wahrhaft und von ganzem Herzen lieben, so sind auch unsere Gedanken immer und immer wieder bei Gott, haben für nichts anderes ein Interesse als für Gott. Aber auch das Gegenteil ist wahr: wenn es uns so schwer fällt, an Gottes Gegenwart zu denken, wenn wir trotz unseres guten Willens und unserer Anstrengungen in dieser Übung jahrelang so wenig erreichen, so ist das ein Zeichen, dass unsere Liebe zu Gott recht schwach und armselig ist, dass die Geschöpfe, die Dinge uns vielmehr in ihren Bann ziehen und interessieren als unser Schöpfer und Herr, der ewige, dreieinige Gott.

Wenn wir beständig in der Gegenwart Gottes leben wollen, brauchten wir nur eine große starke Gottesliebe. Die aber bekommen wir durch Übung. Lieben lernt man durch lieben. So sollen wir alles aus Liebe zu Gott tun. Auch in der Bruderliebe finden wir Gott: "Niemand hat Gott je geschaut; wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet" (1. Joh 4,12) oder in der Rede vom Weltgericht heißt es bei Mt 25,40: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder (das sind Fremde, Obdachlose, Kranke, Gefangene ...) getan habt, das habt ihr mir getan".

Auch Verzichte müssen wir auf uns nehmen und Gott unsere Sehnsucht hinhalten und so sprechen: O unendliche Liebe, ich liebe dich aus meiner ganzen Seele, ich liebe dich als mein höchstes und einziges Gut, lass mich dich immer tiefer und inniger lieben, in dir selbst und in allem. Wandle du mein Inneres zu deiner Liebe hin. Alles andere soll mir dir gegenüber wie Dreck sein.
Um die Sammlung in Gott zu erhalten und zu bewahren, müssen wir alles meiden, was diese Sammlung in Gott stören oder hindern kann. Unsere Gedanken springen immer wieder von Gott ab und wenden sich unnützen, irdischen und auch sündhaften Dingen zu. So müssen wir beharrlich, entschieden und ausdauernd dagegen angehen. Wir müssen die Quellen verstopfen, aus denen die unnützen, eitlen und sündhaften Gedanken kommen und das sind vor allem drei: der unnötige Gebrauch der Sinne, die unnötigen Sorgen und die ungeordneten Leidenschaften.
 
II 1. Der unnötige Gebrauch der Sinne.
Schon die Wüstenväter sagen "Wenn man innerlich werden will, muss man taub, blind und stumm werden". d.h.. man muss äußerst sparsam sein im Gebrauch der Augen, der Ohren und der Zunge. In den Klöstern sind darum eine Reihe von Regeln aufgestellt worden, welche die Bezähmung der Augen, das Stillschweigen und die Einschränkung der Unterhaltung besonders mit weltlich gesinnten Menschen, zum Gegenstand haben. Diese Regeln sollen zwar auch zur Selbstverleugnung dienen, aber zunächst und vor allem zum Erlernen der beständigen Kommunikation mit Gott. Denselben Weg, den die Ordensleute mit Hilfe ihrer Regel gehen, müssen auch die Laien nehmen, wenn sie innerlich werden wollen: den unnötigen Gebrauch der Augen, der Ohren, der Zunge meiden. Denn was wir sehen, hören und sprechen, prägt sich unserem Gedächtnis ein und steigt als Erinnerung immer wieder in unseren Gedanken auf und zieht uns von der Gegenwart Gottes ab. In der Nachfolge Christi heißt es: "Wenn du auf die Geschöpfe Rücksicht nimmst, wird dir der Anblick des Schöpfers entzogen" III,42 und an anderer Stelle: "Von vielem musst du keine Kenntnis nehmen und dich gleichsam ansehen als einen, der für diese Welt schon gestorben ist, dem die ganze Welt gekreuzigt ist" (Kol 3,5). Man muss gegen vieles, was an das Ohr dringt, taub sein und mehr an das denken, was zum Frieden führt." III,44.
Dieses Absterben der Sinne fällt dem lauen Christen außerordentlich schwer, und zwar deswegen, weil ihm die Geschöpfe so überaus groß und begehrenswert erscheinen, Gott aber für ihn nur ein dunkler Begriff ist, der auf ihn keinen Eindruck macht.
 
2. Die unnötigen Sorgen.
Viele guten Menschen kommen nicht zum innerlichen Leben, weil ihre Gedanken immer von ihren täglichen Sorgen in Anspruch genommen sind. Die einen sorgen sich ab wegen ihres Besitzes, die anderen wegen ihrer Gesundheit, die dritten wegen ihrer Angehörigen und Freunde. Andere wieder grübeln den ganzen Tag über ihre bitteren Enttäuschungen, über Beleidigungen, Verleumdungen, Ungerechtigkeiten, die man ihnen zugefügt hat. Viele auch sind immer in Unruhe und Aufregung wegen ihrer Arbeit und ängstigen sich unklugerweise wegen des Erfolgs oder Misserfolgs ihrer Unternehmungen. Dieses beständige Besorgtsein und sich Grämen ist ein Zeichen, dass es stark an Gottvertrauen fehlt. ...
Bleiben wir also im Frieden auch bei unangenehmen Verhältnissen und verlieren nicht die Gemütsruhe, auch nicht beim Andrang vieler Arbeit. Halten wir uns an den Gedanken: Gott ist bei mir und weiß, was mir begegnet, er liebt mich und wird nichts über mich kommen lassen, was meiner Seele nicht zum Segen werden kann. "Werft all eure Sorgen auf den Herrn, denn er selbst kümmert sich um euch". (1. Petr 5,7) Und Jesus mahnt uns: "Macht euch keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen, was sollen wir trinken, was sollen wir anziehen? Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen, dann wird euch alles andere dazugegeben."(Mt 6,31-33)
 
 

3. Die ungeordneten Leidenschaften

Leidenschaftliche Menschen denken stunden- und tagelang an das, was ihre Leidenschaft erregte. So muss der Zornige immer wieder an das denken, was ihn zornig machte. Der Stolze hängt seinen stolzen Gedanken nach; ja sein ganzes Leben ist ausgefüllt und verpestet vom Gedanken an die eigene Größe und Tüchtigkeit und an die Bewunderung, welche er vermeintlicher Weise bei den Menschen findet oder finden möchte.

Unkeusche Menschen verweilen immer wieder in der schwülen Atmosphäre ihrer unreinen Gedanken, Begierden und Stimmungen. Gerade diese beständigen Erregungen der Leidenschaften, sind aber daran schuld, dass der Gedanke an Gott sich nicht in der Seele festsetzen kann. Wer den Wandel in der Gegenwart Gottes lernen will, muss darum innerlich ruhig werden, die Stürme der Leidenschaften müssen in ihm schweigen, eine gewisse Abgeklärtheit und Kraft zur Selbstbeherrschung muss errungen werden. Menschen, die das geistliche Leben pflegen, müssen sich besonders lösen von dem Eingenommensein durch das eigene Ich, von der übertriebenen Empfindsamkeit für alles, was dem eigenen Ich weh tut. Es liegt eine reiche Lebenserfahrung in den Worten der Nachfolge Christi "Wenn der Mensch sich selbst gefällt missfällt er Dir; wenn er gierig ist nach menschlichem Lob, büßt er die echten Tugenden ein." III,40.

Der Hl. Alphons sagt: "Wie das Gebet, so der Mensch, und wie die Abtötung, so das Gebet."

Diese Wahrheit gilt auch vom Wandel in Gottes Gegenwart. Je mehr wir uns vom Irdischen lösen, je entschiedener wir uns selbst verleugnen, desto leichter gelingt es uns, in der Gegenwart Gottes zu wandeln. Nutzen wir darum eifrig die Gelegenheiten, die sich zu kleinen Selbstüberwindungen bieten.
Zum Schluss ein E i n w a n d. Wird diese beständige Sammlung in Gott nicht zu einem Hindernis für die Berufsarbeit? Keineswegs, sondern er bringt ihr vielmehr Nutzen, und umgekehrt, eine Gott wohlgefällige Arbeit ist niemals ein Hindernis für den Wandel in Gottes Gegenwart, sondern bringt vielmehr reiche Gnaden zur Übung des innerlichen Lebens.
Aber wohlgemerkt unser Tun muss wirklich für Gott verrichtet werden und darf nicht durch Stolz, Eigenliebe oder Bequemlichkeit, nervöse Hast und Unruhe verdorben sein. Nicht die Arbeit hindert den Wandel vor Gott, sondern das Unvollkommene, Sündhafte, das mit der Arbeit verbunden ist, und wenn innerliche Seelen bei der Arbeit Fehler machen, so kommt das nicht von dem Gedanken an Gottes Gegenwart, sondern von anderen Gründen.
 

4. Kapitel

Unsere Helfer.

Wer hilft uns den Wandel vor Gott zu lernen? Folgende fünf Sätze können wir uns merken.
 

1. Dein Vorbild im Wandel in Gottes Gegenwart
sei unser Herr Jesus Christus selbst.
Die menschliche Seele Jesu schaute schon auf Erden immerzu das Angesicht seines himmlischen Vaters. Ob er betete, oder arbeitete, ob er lehrte oder Wunder wirkte oder mit den Menschen sprach, immerfort waren seine Gedanken bei Gott. Wenn nun aber Jesus uns zuruft: "Komm, und folge mir nach", sollten wir ihm da nicht auch nachfolgen in seinem beständigen Wandel in Gottes Gegenwart? Die Heiligen haben das für möglich gehalten und darum nicht nachgelassen, bis auch sie immerzu in Gottes Gegenwart leben konnten. Bemühen wir uns also, Jesus ähnlich zu werden in seiner Armut, seiner Keuschheit, seinem Gehorsam, in seiner Sanftmut und Demut, in seiner Geduld und Opferbereitschaft, in seiner Liebe zu den Armen und Ausgestoßenen, bemühen wir uns aber auch ebenso, ihm ähnlich zu werden in seinem Gebetsleben und gleich ihm beständig in Gottes Gegenwart zu wandeln.
 

2. Dein Anführer und Begleiter im Wandel in Gottes Gegenwart
sei der Heilige Geist.



Wenn der Mensch einmal anfängt, innerlich zu werden, wenn er lernt, mehr als sonst seine Gedanken dem gegenwärtigen Gott zuzuwenden, nimmt er immer deutlicher und häufiger die Einsprechungen des Heiligen Geistes wahr. Alle diese Einsprechungen haben das Ziel, die Seele Gott zuzuführen, sie zum beständigen Wandel in Gottes Gegenwart zu bringen. Darum erinnert der heilige Geist immer wieder an Gottes Gegenwart und mahnt, bei der Arbeit etwas innezuhalten und ein Stoßgebet zu sprechen. Darum flößt der Heilige Geist Liebe zur Einsamkeit ein und hält zurück von unnötigem Verkehr mit den Menschen. Darum macht der Heilige Geist auf viele Gelegenheiten zur Selbstverleugnung aufmerksam, und treibt uns an, diese auf uns zu nehmen. Darum lässt uns auch der Heilige Geist keine Ruhe, wenn wir in der Übung der Vergegenwärtigung Gottes nachgelassen haben und macht uns solange Vorwürfe, bis wir wieder eifriger werden. O sprechen wir doch mit dem Psalmisten: "Ich will hören, was Gott der Herr in mir redet" Ps 84,9, und machen wir es uns zum Grundsatz, keine Einsprechungen des Heiligen Geistes unbeachtet zu lassen. Die Geisteslehrer sagen, es gäbe keinen schnelleren Weg zum Heiligwerden, als sich großmütig der Leitung des Heiligen Geistes anzuvertrauen und seine Einsprechungen rückhaltlos und ausnahmslos zu befolgen.
 
 

3. Deine Mittlerin im Erlernen des Wandels vor Gott sei Maria,
die Mutter unseres Herrn.

Viele Menschen haben nach dem Satz gehandelt, den auch Ignatius in seinen Exerzitien empfiehlt, durch Maria zu Jesus, durch Jesus zum Vater. Sie, die ganz mit Gott vereint ist, ersehnt und erfleht das Gleiche für uns, indem sie uns auf Jesus hinweist mit den Worten: "Tut, was er euch sagt".
 
 

4. Deine Hilfe im Erlernen des Wandels vor Gott sei das Bittgebet.
Der Wandel in Gottes Gegenwart kann nicht erlernt werden ohne viele und große Gnaden des Beistandes, und der immerwährende Wandel in Gottes Gegenwart ist eine außerordentliche Gnade, die Gott zwar allen Christen zugedacht hat, die jedoch tatsächlich nur wenigen Christen zuteil wird. Große Gnaden wollen erfleht sein. Wohl jeder Mensch, welcher den Wandel in Gottes Gegenwart lernen will, wird an einem Punkte anlangen, wo er sich sagt, "Ich komme nicht zum Ziel, alle meine Bemühungen den Wandel in Gottes Gegenwart zu lernen, schlagen fehl." Gott muss uns diesen Misserfolg erleben lassen, weil wir zuviel auf unsere eigenen Kräfte vertrauen und zuwenig auf Gottes Gnade. Werden wir darum nicht mutlos, sondern verbessern wir den gemachten Fehler und fangen an, kräftig und beharrlich um Gottes Beistand zu bitten, und wir werden bald erfahren, wie die Gnade Gottes uns mächtig vorwärts treibt.
 

5. Deine Stütze im Erlernen der Vergegenwärtigung Gottes
sei die besondere Gewissenserforschung

Die besondere Erforschung oder auch Partikularexamen geht von dem Gedanken aus, dass es leichter sei, einen Fehler nach dem anderen zu bekämpfen und eine Tugend nach der anderen anzustreben als alle zugleich. Das Wesentliche bei dieser Übung ist nun aber nicht, dass man sich zweimal am Tage, mittags und abends fragt, ob man diesen Fehler bekämpft, diese Tugend geübt hat, sondern das Wesentliche ist, dass man fest entschlossen ist, diesen einen Fehler zu bekämpfen, diese eine Tugend zu üben und dass man sich deswegen ganz darauf konzentriert und alle seine geistlichen Übungen diesem Ziel dienstbar macht.

Will man den Wandel in Gottes Gegenwart lernen, nützt es sehr, diese Übung zum Gegenstand der besonderen Gewissenserforschung zu machen.

Man lässt sich also ganz von dem Gedanken durchdringen, ich will auf jeden Fall lernen, mit Gottes Hilfe und Gnade beständig in seiner Gegenwart zu wandeln. Gott selbst lädt mich ja dazu ein, und er will sich mir schenken.
Dann überlege man, zu welchen Zeiten oder Gelegenheiten am Tag man sich besonders an Gottes Gegenwart erinnern will z.B. wenn ich etwas beginne oder beende oder wenn ich bei einer Tätigkeit Unruhe in mir verspüre oder die Tätigkeit wechsle.
In der Erforschung kann man sich fragen, wann es einem gelungen ist, oder wann man es besser hätte tun sollen, oder wann andere nutzlose Beschäftigungen einen erfüllt haben, wo man also ausgewichen ist.
Man kann sich darüber auch Notizen machen. Es ist gut, sich ab und zu auch tiefer in Gott zu sammeln, damit der Gedanke an Gottes Gegenwart nicht zu oberflächlich wird und schließlich wieder vergeht.
 

5. Kapitel:

Der Segen der Vergegenwärtigung Gottes.

Wer den beständigen Wandel in Gottes Gegenwart lernen will, muss sich immer wieder die großen Segnungen dieser Übung vor Augen stellen. Im Folgenden seien sie kurz zusammengestellt, und zwar nach den drei Wegen, die der Mensch auf der Wanderung zu Gott zurücklegen muss, dem Wege der Reinigung, Erleuchtung und Vereinigung.
 
 

1. Der Wandel in Gottes Gegenwart bewahrt vor der Sünde
1. Der heidnische Philosoph Epiktet, ein Stoiker, schreibt: Wenn du dich stets erinnerst, dass alles, was du im Geist oder mit dem Körper vornimmst, die Gottheit als Wächter schaut, dann wirst du in all deinen Gebeten und Handlungen nie einen Fehler begehen". Hier haben wir die erste große Wirkung des Wandels in Gottes Gegenwart: Er bewahrt vor der Sünde. Ein Mensch, der sich vor Gott weiß, liebt Gott, weil er von der Überzeugung durchdrungen ist, dass Gott ihn zuerst geliebt hat. Dieser Gedanke treibt ihn mächtig an, den von ihm geliebten, allzeit gegenwärtigen Gott, der ihn fortwährend mit Wohltaten überhäuft auch nicht in kleinen Dingen zu enttäuschen oder zu beleidigen.
Der Wandel vor Gott schärft das Auge der Seele und lässt sie viele Fehler und Unvollkommenheiten erkennen, die sie vorher gar nicht beachtet hatte. Und so trägt der Wandel in Gottes Gegenwart viel dazu bei, dass wir die Reinigung der Seele erreichen, die als Vorbedingung der wahren Heiligkeit gilt.
 
 
2. Der Wandel in Gottes Gegenwart unterstützt uns auf das wirksamste
in der Erlernung aller Tugenden

Paulus sagt: "Der Gerechte lebt aus dem Glauben." Gal 3.11. Dieses Leben aus dem Glauben ist nur dem möglich, der in Gottes Gegenwart wandelt.

Ein solcher Mensch sieht in allem Gott und Gottes Wirken. In seinem Nächsten sieht er das Ebenbild Gottes, in der Sünde die Beleidigung Gottes, in jedem Kreuz die Liebe Gottes, in allen Ereignissen des Lebens Gottes weise und gütige Vorsehung. Ein solcher Mensch weiß, dass Gott allein groß und alles Geschöpfliche klein ist, dass nur das Ewige Wert hat, und das Irdische nur insoweit, als es auf Gott den Schöpfer hinweist oder für die Ewigkeit nützlich ist. Wer in Gottes Gegenwart lebt, hat ein starkes Gottvertrauen. Er spricht mit dem Psalmisten: "Auch wenn ich mitten in Todesschatten wandle, fürchte ich kein Unheil, denn du, o Gott, bist bei mir". Ps 22,4. Auch im schwersten Leid verliert er darum nicht den Mut. Denn er weiß sich in Gottes Hand. Er sieht Gottes Vaterauge auf sich gerichtet und sich von Gottes Vaterliebe umgeben. Dieses Gottvertrauen gibt ihm auch Kraft, in allen unangenehmen Vorkommnissen des Lebens sanftmütig, ruhig und geduldig zu bleiben und jene, welche die Vorkommnisse verschuldet haben, als seine Wohltäter anzusehen und ihnen darum mit Güte und Nachsicht zu begegnen.

Wer in Gottes Gegenwart lebt, wächst täglich in der Gottesliebe, besonders, wenn er Akte der Gottesliebe erweckt und über die Vollkommenheit Gottes betrachtet. Es heißt "aus dem Auge, aus dem Sinn". Wenn wir jemanden nicht mehr sehen, denken wir nicht mehr viel an ihn, so erkaltet unsere Liebe zu ihm, das gilt auch für die Liebe zu Gott.

Der Wandel in Gottes Gegenwart lässt uns gut beten. Viele klagen darüber, dass sie in ihren Gebet von Zerstreuungen geplagt werden. Diese Zerstreuungen haben ihren tiefsten Grund darin, dass man zu sehr im Irdischen hängt. Bei dem Menschen, der in Gottes Gegenwart lebt, steht Gott im Vordergrund aller Gedanken und Wünsche, alles andere tritt davor zurück.
Durch den Wandel in Gottes Gegenwart lernt man die wahre Demut, die darin besteht, dass man sich selbst wahrhaft erkennt und von daher sich sagen kann, ohne die Gnade Gottes bin ich nichts. Diese Distanz uns selbst gegenüber bekommen wir aber nur dann, wenn wir uns Gott gegenüber stellen und an Gottes unendlicher Größe und Heiligkeit unsere begrenzte Geschöpflichkeit und Sündhaftigkeit ermessen. In dieser Gegenüberstellung vergeht aller Hochmut, und der Mensch wird sich seines Nichts bewusst. Niemand vermag diesen unendlichen Abstand von Gott und sich so klar zu erkennen wie der innerliche Mensch, der beständig auf Gott schaut. So ist der Wandel vor Gott ein Mittel gegen pharisäische Frömmigkeit, die nichts anderes ist als ein seltsames Gemisch von Frömmigkeit und Hochmut.
 

3. Der Wandel in Gottes Gegenwart führt zur Vollkommenheit

Der Heilige Alphons nennt den Wandel in Gottes Gegenwart das Fundament der Vollkommenheit. Ohne Fundament kann man kein Haus bauen. Da Gebäude der Vollkommenheit können wir nicht aufbauen, wenn wir nicht als Fundament den Wandel in Gottes Gegenwart legen. Der tiefere Grund dieser Wahrheit ist der: Vollkommen sind wir, wenn wir mit Gott vereinigt sind durch eine vollkommene Liebe. Das setzt aber nicht nur voraus, dass unser Wille mit dem Willen Gottes vereinigt ist, sondern auch, dass unsere Gedanken bei dem sind, der uns mit seiner Liebe erfüllt und dem wir unsere Liebe geweiht haben.

Vergessen wir dabei nicht: Wer ein Fundament gelegt hat, hat damit noch nicht das ganze Haus gebaut. Manche wollen sich damit zufrieden geben, wenn sie in Gottes Gegenwart leben können und wollen die mühselige Weiterarbeit an sich vernachlässigen. Ein solches Verhalten zwingt Gott, die Seele zu bestrafen und ihr viele äußere Bedrängnisse zu schicken, damit sie zur Besinnung kommt und an der Reaktion Gottes erkennt, dass man auf dem Weg zu Gott nicht stehen bleiben darf, sondern täglich vorwärts schreiten muss. Das Fundament der Heiligkeit wird also durch den Wandel in Gottes Gegenwart gelegt, das Gebäude der Heiligkeit selbst aber wird aufgerichtet durch beharrliche und bereitwillige Übung der Tugenden, besonders der Liebe zu Gott und dem Nächsten.
 
 

4. Der Wandel vor Gott macht schon auf Erden wahrhaft glücklich

Thomas von Aquin schreibt in seiner Summe zwei wichtige Sätze: der eine heißt, "das letzte Ziel des Menschen ist seine Glückseligkeit," und der andere: "Die Glückseligkeit des Menschen besteht einzig in Gott." Wir sind erschaffen, um glücklich zu werden, und diesen Glückstrieb in uns können wir gar nicht zerstören. Das Glück, nach dem wir verlangen, können wir nur in Gott finden, niemals in den Scheingütern dieser Erde. Gott hat uns eben für sich erschaffen und darum ist unser Herz unruhig, bis es ruht in Gott. Die Verbindung mit Gott besteht im Himmel darin, dass wir Gott schauen, ihn lieben und genießen. In diesem Besitz Gottes sind die Seligen ununterbrochen und ewig glücklich. Auf Erden aber besteht diese Verbindung mit Gott darin, dass wir Gott erkennen im Glauben und ihn lieben mit der uns eingegossenen übernatürlichen Liebe und dass wir uns der Gegenwart des von uns geliebten Gottes immer bewusst sind.

 der hl.Thomas von Aquin drückt das in seiner tiefgehenden Darstellungsweise so aus: Die Seligen des Himmels haben nur eine einzige und ununterbrochene ewige Tätigkeit, nämlich Gott schauen. Je mehr es nun dem Menschen gelingt, auf Erden in Bezug auf Gott einer einzigen und ununterbrochenen Tätigkeit sich hinzugeben, desto mehr nähert er sich auf Erden der himmlischen Glückseligkeit. Dies ist in ihrem Höhepunkt die Contemplatio veritatis, das Gottschauen der mystischen Seele und in ihrem Anfang der beständige Wandel in Gottes Gegenwart. Dieser bringt also einen Vorgeschmack der himmlischen Seligkeit, eine Freude und Wonne, so groß und so reich und so überwältigend, dass die Seele im Himmel zu sein glaubt (vgl. Thomas von Aquin, Summa I-II. qu. 3 art. 3 ad 4).
Der im Ruf der Heiligkeit 1704 verstorbene Jesuitenmissionar P. Philipp Jeningen schreibt gegen Ende seines an Prüfungen reichen Lebens, "er habe das einzig wahre, unendlich beseligende Genügen in diesem Tränental in der Gegenwart dieses allgütigen Gottes gefunden, der bleibt, wenn alles weicht und flieht."
 

Ergänzungen

 -
P. Faber schreibt: "Gott ist in uns und außer uns, oben, unten und ringsum. Wo
immer wir unsern Fuß hinsetzten, da ist Gott, selbst wenn wir ausgehen, um
Böses zu tun. Wenn wir unsere Hand ausstrecken, so ist Gott in unserer Hand;
er ist in der Luft, durch die unsere Hand fährt, und wo unsere Hand hintastet,
da ist Gott auch. Dennoch gehen wir unseres Weges, wie es uns gefällt, sündi-
gend, prahlend und Torheiten begehend, nicht bloß in einem geweihten Heilig-
tume, sondern in dem lebendigen Gotte".
Möge dieses Büchlein allen denen, welche es lesen, ein Helfer sein, daß auf sie diese
betrübenden Worte P. Fabers keine Anwendung finden! Möchten sie vielmehr durch dieses
Büchlein begeistert und gestärkt werden, in großer Herzensreinheit Gott zu dienen und durch
wahre Vollkommenheit Gott zu erfreuen und sich selbst zu beseligen!
Würzburg, Ostern 1919. Konrad Hock, Spiritual.
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Vorwort zur 6. und 7. Auflage S. IX -XI
Obwohl die 4. und 5. Auflage dieses Büchleins in 10 000 Exemplaren gedruckt war,
wurde doch schon nach vier Monaten eine neue Auflage notwendig, ein Beweis, wie
sehr dieses Büchlein einem Bedürfnis der nach Gott dürstenden Seelen entgegenkam.
Möge auch diese neue, nur mit einem Literaturverzeichnis vermehrte, im übrigen
gleich gebliebene Ausgabe zahlreichen Gottsuchern auf dem Wege zu Gott eine
gute Hilfe sein!
Ich bin wiederholt um Rat gefragt worden, wie solche Menschen, welche viel
geistig beschäftigt sind, den Wandel vor Gott am besten lernen könnten. Es läßt
sich nicht leugnen, daß Menschen, welche fast nur geistig beschäftigt sind,
ihre besonderen Schwierigkeiten im Erlernen der beständigen Vergegenwärtigung
Gottes haben. Aber auch diese Schwierigkeiten können überwunden werden.
Auch die geistigen Arbeiter geben sich nicht immerfort mit der Wissenschaft ab.
Auch sie haben ihre Zeiten, da sie essen und trinken, sich erholen, spazieren
gehen, mit anderen zwanglos plaudern, aufstehen und sich niederlegen und nament-
lich haben auch sie Zeiten des Gebetes, ja vielfach täglich sogar zwei, drei
und vier Stunden Zeit zum Gebet. Das erste ist nun, daß solche geistige Arbeiter
die Zeit, da sie nicht wissenschaftlich tätig sind und insbesondere die Zeit, ~
da sie beten, betrachten, zelebrieren und kommunizieren, irn Gedanken an die
Gegenwart Gottes verbringen, und um das zu lernen, haben die geistigen Arbeiter
zum mindesten nicht mehr, wahrscheinlich aber sogar weniger Schwierigkeiten
als die einfältigen, weniger begabten Menschen.
Hat der geistige Arbeiter einigermaßen gelernt, in der Zeit, da er nicht
wissenschaftlich sich beschäftigt, den Gedanken an Gottes Gegenwart festzu-
halten, so wird er verhältnismäßig leicht an die Gegenwart Gottes denken können,
wenn er Vorträge oder Predigten anhört oder bei der Spendung des Buß-
sakramentes die Anklage der Sünden entgegennimmt, und allmählich wird er
auch lernen, wenn er selbst Vorträge hält, sagen wir einmal, wenn er Unter-
richt gibt in der Schule oder in der Kirche katechisiert oder predigt, dabei ,
den Gedanken zu bewahren: "Ich spreche unter den Augen Gottes; Gott hört mir
zu; er ist mein Inspektor und auch mein Kritiker, der über jeden Satz, den ich
spreche, ein wahres und gerechtes Urteil fällt". Von dem ehrwürdigen Olier
heißt es, er sei, während er predigte, in seinen Gedanken immer mit Jesus
im Tabernakel in Verbindung geblieben.
Das Schwierigste ist, an die Gegenwart Gottes zu denken, wenn man lange und
angestrengt nachdenkt, wenn man also studiert oder über eine Rechnung grübelt oder
an einem Aufsatz, an einer Predigt, an der Fertigstellung eines literarischen
Werkes arbeitet. Ist ein Mensch soweit, daß er das Gebet der Einfachheit übt,
so wird er auch bei intensivem Nachdenken der Gegenwart Gottes leicht eingedenk
sein können. Solange er aber das Gebet der Einfachheit nicht üben kann, muß er
sich damit helfen, daß er von Zeit zu Zeit, etwa alle 10 bis 15 Minuten in der
geistigen Arbeit inne hält und zehn, zwanzig, dreißig Sekunden lang in den Gedan-
ken sich vertieft: Gott ist bei mir, Gott ist in mir. Mit dieser Sammlung lassen
sich auch leicht die Übungen verbinden, die wir einmal als die sieben Mittel
zum innerlichen Leben anführten, wenn man es nicht vorziehen will, dieselben
sogleich beim Beginn der Stuode zu verrichten. Diese oftmalige kurze Sammlung
wird dem Studium nicht schaden, sondern nur nützen.
 Im übrigen gilt auch für die geistigen Arbeiter der Grundsatz, den wir in diesem Büchlein
wiederholt ausgesprochen haben, daß man den Wandel vor Gott nur langsam und
allmählich lernen kann und daß man ihn umso rascher und vollkommener lernt, je
rascher und vollkommener man sich von allem losschält, was nicht Gott ist. Daß aber auch
geistige Arbeiter den Wandel vor Gott lernen können, steht außer allem Zweifel.
Um offen zu sein, gerade solche, welche fast immerwährend geistig beschäftigt
sind, waren es, an denen ich den Segen des Wandels vor Gott und die Möglichkeit,
immerfort in der Gegenwart Gottes zu wandeln, kennen - und schätzen lernte.
Würzburg, am Feste der Verklärung des Herrn 1919. Konrad Hock, Spiritual

Vorwort zur 8. und 9. Auflage S. XI-XIII
Seit dem Erscheinen der letzten Auflage hat dieses Büchlein eine heftige Kritik
erfahren durch P. Lindworsky S.J.
Ich habe die Bedenken dieses Herrn als unberechtigt ausführlich zurückgewiesen in
einer eigenen kleinen Schrift Veritati (verlegt in der Verlagsbuchhandlung V.
Bauch, Würzburg) und außerdem in einer kürzeren Entgegnung in Nr. 15, 1920 der
"Blätter für den katholischen Klerus" (Eichstätt). Hier seien noch folgende
Bemerkungen gestattet.
1. Was P. L. gegen mein Büchlein vorbringt, beruht zum größten Teil auf einer
falschen Auffassung dessen, was ich schreibe und empfehle. Ich habe, um solchen
Mißverständnissen für die Zukunft vorzubeugen, in dieser neuen Auflage S. 25,
S. 31, S. 33, S. 54ff., S. 223f. der alten Auflage eine andere Fassung gegeben.

2. Manche glauben, es sei besser, dadurch den Wandel in der Gegenwart Gottes zu
lernen, daß man immer mehr wachse in der Liebe Gottes als dadurch, daß man
systematisch in der Vergegenwärtigung Gottes sich übe. Dieser Gedanke hat
etwas Verlockendes für sich. Aber die Erfahrung zeigt, daß auf diesem Wege
nur sehr wenige den Wandel vor Gott lernen, während er auf dem Wege der Übung
verhältnismäßig leicht gelerntwerden kann. Der berühmte Theologe und Mystiker
Philipp von der allerheiligsten Dreifaltigkeit gibt auch den tieferen Grund
hierfür an, wenn er sagt, zuerst müsse man sein Gedächtnis reinigen, dann
erst gelinge es, die bösen Neigungen zu reinigen. In der Tat bringt es der
Mensch außerordentlich schwer fertig, seinen bösen Neigungen abzusterben
und in der Liebe Gottes zu wachsen, wenn sein Geist den ganzen Tag von
unnützen, törichten oder gar sündhaften Gedanken und Träumereien erfüllt ist.
Wenn dagegen der Geist gelernt hat, diese schlimmen Gedanken abzuweisen und
sich mit dem Gedanken an Gott zu beschäftigen, so wird es still und ruhig
-in ihm,- er erkennt jetzt viel schneller und klarer die mannigfachen Regungen
seines Trieblebens und ist so leichter in den Stand gesetzt, seine bösen Nei-
gungen zu schwächen und dadurch auch in der Liebe große Fortschritte zu machen.
Wir müssen darum an dem Grundsatz festhalten: Man übt sich in der Vergegenwärtigung
Gottes, nicht, weil man bereits mehr oder weniger vollkommen ist, sondern, damit man
vollkommen wird.
 3. Manche haben auch Anstoß daran genommen, daß ich schrieb, ich hätte in keinem
der mir zur Verfügung stehenden Bücher eine wirklich praktische Anleitung
zum Erlernen des Wandels vor Gott gefunden. Mein Büchlein ist nun tatsächlich
aus der Praxis herausgewachsen. Unterdessen habe ich aber auch die Methoden
der Alten kennen gelernt und habe gesehen,daß sich dieselben von der meinigen
in keiner Weise wesentlich unterscheiden. Bei den Alten finden wir die Grund-
sätze: Wir sollen danach streben, immerwährend in Gottes Gegenwart zu bleiben;
diesen immerwährenden Wandel vor Gott sollen wir durch beständige Übung lernen;
bei dieser Übung sollen wir uns weniger an Phantasiebilder halten als vielmehr
an den einfachen Gedanken an Gottes Gegenwart; wir sollen mit dem Gedanken
an Gottes Gegenwart viele Stoßgebete verbinden.

Pfingsten 1920, Konrad Hock

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Ribadeneira SJ schreibt über Ignatius von Loyola: Von den unscheinbarsten Dingen stieg er auf zu Gott,
der auch im kleinsten groß ist.  Er brauchte nur ein Pflänzlein, eine Blüte, eine Frucht anschauen oder ein
Tierlein zu betrachten, so erhob er sich über die Himmel.

An den Rektor von Coimbra schrieb Ignatius 1551: Die Mitbrüder der Gesellschaft Jesus sollten in allen Dingen
Gott suchen - sie sollten nicht weniger Andacht in den Werken der Liebe und des Gehorsams finden als im
Gebet und in der Betrachtung.